Gelungenes Leben

Fotopraxis der 50er, 60er und 70er Jahre

Seit über 7 Jahren durchstöbere ich mit meinem Kollegen  Uwe Jeltsch  Dachböden und Flohmärkte nach Dias und tauche ein in verlorengegangene und wiedergefundene visuellen Welten. Stetig wächst unsere Sammlung:

Gefundene fotografische Selbstinszenierungen im gesellschaftlichen Wahrnehmungsalltag

Trautes Heim

Wohlfühlen in den eigenen vier Wänden

Trautes Heim

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Frauen, blütenzart

Blumen und anderer Liebreiz

Frauen, blütenzart

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Die Ferne so nah

Auf der Reise

Die Ferne so nah

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Hier steh ich nun

Allein auf weiter Flur

Hier steh ich nun

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Die Welt ist schön

Draußen an der frischen Luft

Die Welt ist schön

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Jan Lingemann

Gelungenes Leben

Fotopraxis im Wahrnehmungsalltag der 50er, 60er und 70er Jahre


Es sind vor allem Urlaubsfotos, kitschig-kolorierte Bergpanoramen, dann mal ein wohlgeordnetes Vorstadtidyll, liebevolle und systematisch lockere Schnappschüsse von zünftigen Familienfesten, wohlfeil inszenierte Geselligkeit: Es geht uns gut, dringt es den Menschen aus jeder Pore, gelegentlich ein bisschen selbstgefällig und kokett, mag auch der Minirock spack auf den Hüften sitzen und Tapeten im Hintergrund psychedelisch wabern. Es sind Fundstücke, Dias allesamt, aus Wohnungsauflösungen, von Flohmärkten und neuen digitalen Marktplätzen wie ebay, und es dauert eine Weile, bis man, begleitet von der alerten Schlagermusik jener Zeit, dem Anspielungsreichtum dieser archaisch anmutenden Foto-Arrangements auch nur ansatzweise Herr wird.

Man wird zunächst erfasst von dem warmen nostalgischen Strom, den diese Dokumente des Wahrnehmungsalltags in den 50er, 60er und 70er Jahren unweigerlich schaffen. Die Liebe in den Selbstinszenierungen, aber gleichermaßen ihre Naivität und Unbeholfenheit, berühren, und wecken doch den Soziographen im Betrachter. Die persönliche Fotopraxis enthüllt die private Erinnerungskultur der Zeit, die sich in der visuellen Gliederung der Ausstellung als eine öffentliche erweist.

In übertragender Abwandlung des berühmt-berüchtigten röhrenden Hirsch und der glutäugigen Zigeunerin in kleinbürgerlichen Wohnstuben inszenieren die Menschen sich wie auch Orte und Objekte ihres Interesses in immer wiederkehrender Weise. In der heilen Welt, im trauten Heim, der schönen Natur, oder auf der Reise nach fernen Gestaden - so soll man sie im Bewusstsein erhalten. Interessant wird es, wo sich die Bilder von diesen illustren Archetypen lösen und den Blick auf weniger bekannte Details richten: eine Blume auf bunter Tischdecke, die sehnsuchtsvolle Weite des Meeres, ein Bergidyll, der Locus Amoenus, von Amts wegen ein Topos der Kunstgeschichte, doch hier geläutert durch die Oral History der optischen Medien jener Zeit. Strukturen in Architektur und Mode, Gebäude-Arrangements, aber nicht museal inszeniert, sondern beiläufige Aufnahmen. Kollateralschäden der Privatfotografie wenn man so will, echte Fundstücke eben, und doch in der Reihung als kollektive Motivmuster deutlich, die den geistigen und ästhetischen Kosmos einer Epoche spiegeln.

Und wenn dann die Damen ganz nah an die Blumen heranrücken, sie gar anfassen im Moment der Bildnahme, ist das sicher auch der eigenen Schönheit zuträglich. Ein so naiver wie poetischer Zugang zur Natur, der hier anklingt, die Hoffnung auf eine Erhöhung der Realität durch die haptische Nähe zur Blütenpracht, ist ganz und gar bezaubernd. Erst durch die zeitliche Distanz der heutigen Betrachtung kann man sich auch einen amüsiert-ironischen Blick leisten. Doch ob kaum verwundene Kriegserfahrungen oder harte gesellschaftliche Umbrüche in jenen Tagen - die Geschichte spaßt nicht im Moment ihres Vollzugs, also Respekt meine Damen und Herren Fotokunstkenner. Und so schaut man gebannt der Projektion des Lebens, und dies gleich in doppeltem Sinne: als Dia-Schau, die mit rein visuellen Mitteln die Sehnsüchte und Wünsche einer ganzen Generation darstellt, welche dann ja nur selten auch wirklich im Alltag so gelebt wurden.

Dann kommt von irgendwo her, wo noch keine unbekannten, moralischen Instanzen das Konsumvergnügen schmälern, die Faszination an der Privatheit - und damit auch das schlechte Gewissen. Voyeurismus regiert, angesichts von Bildern, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, zumindest nicht für eine anonyme Kunstkennerschaft. Die Menschen auf den Fotos posieren, zeigen ihr Privates, den kostbarsten, unveräußerlichen Ort ihrer Innerlichkeit. Sie möchten diese Innerlichkeit aussprechen, das unmissverständliche „Hier bin ich!“ oder auch "Hier bin ich mal gewesen", im Urlaub nämlich, Zeugnis ablegen von einem gelungenen Leben, und das nach Möglichkeit in KodakChrome-Qualität. Die Kamera ist dabei sowohl Erfüllungsgehilfe wie auch Zeuge.

Der Betrachter wagt wie immer weniger. Er kann aus den Dias eine Zeit ablesen, in der er jung war, in der Mutter und Vater lebten, oder die die Zeit der Großeltern war, eines Geschlechts, dessen letztes Glied er ist. Und so sucht man nach Hinweisen auf Orte, Zeiten, soziale Konfigurationen, ein Tal in den Alpen vielleicht, ein Tapetenmuster oder eine sinnfällige Geste, die ihm bekannt vorkommt, und die aus dem privaten, besonderen ein kollektives, allgemeines Bild macht. Dabei steigert das Amateurhafte der Bilder die Lust des Betrachters noch, denn auf dem Felde der photographischen Praxis, war sich schon Roland Barthes sicher, überflügelt der Amateur den Professionellen, kommt er dem Noema der Photographie am nächsten.

Spätestens hier drängt sich Trauer in das lustige Vexierspiel. Das berühmte punctum der Zeit (Barthes), das kaum oder nicht Sagbare im Bild, wird hier noch potenziert. Es ist nicht nur die erschütternde Emphase des „Dies ist gewesen!", „Sie sind tot!“ und „Sie werden sterben“, die zermalmte Zeit, die in allen historischen Fotos stets klar lesbar zutage tritt. Die Bilder sind darüber hinaus Fundstücke, mit Liebe inszenierte Dokumente einer Existenz, jetzt aber hingeworfen auf den Müll, oder dem anonymen Second-Hand-Handel anheimgestellt. Hier werden sie womöglich in ihrer kuriosen Materialität noch interessieren; doch droht ihr existenzieller Ausdruck hinter der koketten Präsentation eines kollektiven Kuriosums zu verschwinden. Und dann noch eine Ausstellung, das hätten sich, so steht zu vermuten, Fotografen und Fotografierte eher anders gedacht.

In ihrem melancholischen Abglanz scheinen die Bilder zudem eine feine (medien-)historische Linie zu bezeichnen. So offensichtlich sind sie darauf angelegt, dem unaufhaltsamen Strom des Lebens und seiner flüchtigen Abbildung etwas Substantielles, Bleibendes entgegenzusetzen. In der ego-zentrischen Geste des „Das bin ich!“ und dem oftmals unbeholfenen Gestus des „Mein Haus, mein Auto, meine Frau, mein Urlaub etc.“ erscheinen sie wie die letzten Zuckungen einer sinnzentrierten Medienwelt. Waren der Sinn und die Sinne der Medien zur Zeit von Sprache und Schrift noch so geschaltet, dass die Gesamtheit des Verhältnisses von seiner Sinnseite dominiert wird, so sprengen Phonographie und Photographie mitsamt ihren radiophonen und televisionären Abkömmlingen das traditionelle Sinnprimat. Die Medien werden haptisch und kühl (McLuhan), bevor schließlich in den Metamedien PC und Internet alles zusammenfließt. Dieses schillernde, digitale Bildermosaik hat kein Zentrum mehr, keinen Fluchtpunkt. Entsprechend beschreibt sich die neue Mediengesellschaft so gern unter dem Modepräfix Multi. Multimedia, Multidisziplinarität, Multiperspektivik – dem Übergang vom Sinn zu den Sinnen in der Medienwelt entspricht die Sprengung zentrischer Kommunikationsverhältnisse (Jochen Hörisch). Das herkömmliche Suggestivmodell von Kommunikation war das Modell „Zentrale an Peripherie“, die Sendezentrale Gott übergibt den knappen Kerntext der „Zehn Gebote“ an die eine zentralen Verteiler, und der tut sie allen Empfängern kund, der Rest ist (Medien-)Geschichte.

Die heutige Welt des Internets, von MySpace und den millionenfachen, persönlichen Profilen ist dagegen gottlos. Jeder e-mail, jeder Internet-Seite ist neben der Information, die sie trägt, noch diese eine Mitteilung mitgegeben: Ihre Akteure sind keine Subjekte mehr, sondern Schnittstellen; was sie vor allem kommunizieren ist Kommunikation. Ihre Fotos sagen dann eben auch nicht mehr metaphysisch bemüht, „Hier, das bin ich!“, sondern vielmehr „Ich bin irgendwo hier draußen, aber auf jeden Fall immer erreichbar“.

Die Dias stemmen sich noch mal dagegen, trotzen der neuen Gegenwart noch mal einen Moment lang Sinn ab: Hier bin ich, ein gelebtes Leben, bestenfalls ein Gelungenes, so ist die Welt, jetzt und hier. Ihr Ende koinzidiert mit medientechnologischen Umbrüchen, die den Untergang zentrisch-hierarchischer Kommunikationsverhältnisse auf der großen Weltbühne bezeugen. Die Berliner Mauer fällt, nutzlos in den weltpolitischen Schlachten, die zunehmend mittels Sendestrahlen geführt werden, ein medientechnischer Anachronismus, bis zuletzt verbissen verteidigt von einer Einrichtung, die sich allegorisch umweht auch noch Zentralkomitee nannte. Auch andere Industrienationen, die nicht über eine komplexe Medienstruktur und –strategie verfügen, implodieren. Dias, so könnte man meinen, markieren dieses Moment des Übergangs auf Bodenhöhe des täglich gelebten Lebens. Der Betrachter mag sich berauschen an den etwas hüftsteifen Party-Inszenierungen und verschrobenen Dekors der 50-er-Jahre-Wohnzimmer, stets aber ist auch die Transzendenz spürbar, die diesen Bildern eigen ist. Der Faden, der die dünne Schicht der Bilder mit ihren Subjekten, den Orten und Zeiten verbindet, ist dünn, aber er ist noch nicht ganz gerissen. Das macht ihre spezielle Aura aus.

Die Materialität der Bilder und ihre Darstellung bildet dabei auf verblüffende Weise eine Entsprechung. In ihrer hochwertigen Materialität, dem aufwändigen Entwicklungsakt, und nicht zuletzt dem immer auch etwas peinlichen Ritual ihrer Präsentation (zuwenig Öffentlichkeit, zuwenig Anonymität), sind Diapositive immer schon auf das Wesentliche, Schicksalhafte hin gerichtet, zumal als Massenmedium, das sie in ihren besten Jahren waren.

Dias zeigen Farben in ihrer natürlichen Ansicht – auch hier klingt der Anspruch ontologischer Überlegenheit an – während Fotos bzw. Farbnegativfilme nicht auf absoluten Werten basieren, und im Hinblick auf die Farbinformation offen sind für „Interpretationen“. Dias sind in der Regel Unikate; nur selten werden Dia-Duplikate benutzt. Ihre Beschädigung durch Staub, Fingerabdrücke, Kratzer und Licht ist damit irreversibel. Natürlich könnte man ein hochwertiges Dia digitalisieren, doch fehlen bislang weitgehend handliche, bildgebende Methode zur Darstellung dieser Qualitäten. Schon wieder drängt es stark zum Singulären. Und nicht zuletzt stehen Dias im Kontrast zu der Flüchtigkeit digitaler Fotographie, in der alles einfacher und billiger wird, aber eben auch alles redundanter und gedankenloser, ohne Obligationen zur Selbstbeschränkung, ohne antizipierende Reflexion der Form.

Spätestens in den 80er Jahren aber neigt sich die Zeit der Dias als massenhafte Kulturtechnik dem Ende zu. Der hohe Aufwand bei der Entwicklung ist nicht mehr im Markt vermittelbar, trotz der deutlichen Überlegenheit im Hinblick auf Schärfe, und Farbtreue, Kontrastumfang und –differenzierung. Fotos werden hingegen immer günstiger. Gleichzeitig setzen Bewegtbilder in ihrer dienstfertigen, digitalen Variante zu ihrem anhaltenden Siegeszug auch im Consumer-Bereich an. Zudem zielte ein Diafilm stets auf seinen eigentlichen Verwendungszweck: die Projektion. Nur dann kann er seine Vorteile ausspielen. Doch scheint auch die Dia-Show als sozialer Event heute alles andere als zeitgemäß. Wer lädt heute noch Leute ein, um mit ihnen Bilder auf die weiße Wand zu werfen? Stattdessen werden sie online hochgeladen oder im Rückgriff auf altbewährte Formen als formatierte Fotoalben be- und zugestellt. Die Vorteile liegen auf der Hand, genau wie die der neuen Netzwelt, es ist nicht die melancholisch behauptete Medienapokalypse, die diese Dia-Schau treibt, sondern vielmehr das anspielungsreiche Schwellenphänomen, das sie ausstellt.

Wer seine geistige und emotionale Heimat in den 70ern und 80ern hatte, dem fällt es schwer, sich aus der nostalgischen Klammerung dieser Bilder zu lösen. Die Faszination ist sofort spürbar. In den Metropolen der Republik finden mittlerweile "Dia-Soirées" statt, wo eben solche Fundstücke in der verschiedensten, wenn nicht beliebiger Folge gezeigt werden. Es dauert in der Regel nur wenige Momente nach Aktivierung des Dia-Projektors samt random selector, bis sich interessierte Zuschauer zahlreich um die Leinwand gruppieren, berührt von dem anspielungsreichen Charme der Bilder.

In der Sammlung und Ausstellung "Gelungenes Leben" zeigen Uwe Jeltsch und Florian v. Wissel mittels vier Projektoren rund 400 Diapositive. Die Bilder sind entsprechend kollektiver Motivmuster gruppiert. Seit acht Jahren sammeln, sichten und ordnen die beiden Grafik-Designer, die das Kölner Design-Büro hoop-de-la betreiben, Diapositive aller Art und haben viel Freude daran. Die Dia-Show wurde auch im Internet unter www.gelungenesleben.de aufbereitet; eine Buchpublikation ist in Planung. Wir wünschen viel Vergnügen.